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Renzension Denk-Mal
(english version below)
"Politiken des Erbens in Urbanen Räumen"
(Herausgebende: Blokker, J./ Enss, C.M./ Herold, S., transcript Verlag, Bielefeld, 2021)
-alle nachfolgenden Seitenangaben beziehen sich auf dieses Buch-
Was sind eigentlich Denkmäler? Sind es so „schöne alte Gebäude“, die irgendwie charakteristisch für eine Epoche oder eine Region aussehen? Und wer entscheidet, welche Epoche oder Region genau denkmalwürdig ist?
Für die Dresdner Innenstadt zum Beispiel gibt es seit Jahrzehnten (!) einen Streit darüber, ob die Straßenzüge nach dem Schönheitsideal der Barockbauten des 17./ 18. Jahrhunderts rekonstruiert werden sollen. Oder ob die durchaus gelungene, mit viel Aufwand und vor allem auf den Fokus des Wohnens in der Innenstadt durchgeführte Bebauung aus den 1970er Jahren der DDR auch zählt und denkmalwürdig sei (S. 103ff).
Mit vielen Praxisbeispielen gespickt widmet sich das Buch von Blokker u.a. „Politiken des Erbens in urbanen Räumen“ dem Thema Denkmal. Es ist eine Festschrift, die dem deutschen Denkmalexperten Gerhard Vinken gewidmet ist, der selbst lieber von einem „kulturellen Erbe“ als von Denkmal spricht und damit auch den Zeitgeist der (inter-)nationalen Expertinnen und Experten aufgreift (S.24).
So sperrig nach meinem Dafürhalten der Titel dieses Buches ist, so leicht lesbar ist es mit seinen 15 verschiedenen kurzen Beiträgen auch für Laien wie mich. Ich habe hier schnell gelernt, dass wir -schon seit längerem- in einer Phase des Umbruchs beim Denkmalschutz sind:
„(Bau)Denkmal“ meint dann eher ein Konzentrieren auf ein Gebäude verstanden als ein materielles Objekt an sich. Schutzwürdige Denkmäler werden tendenziell eher von den Denkmalbehörden ausgesucht und autorisiert (S. 77ff).
„Kulturelles Erbe“ (engl. Heritage) andererseits stellt den aktiven sozialen Prozess in den Vordergrund, es geht um Mitsprache und Teilhabe der durch Gebäude (oder Ensembles) betroffenen Menschen (S.7f). Im Kern also um eine Machtverschiebung von institutioneller Denkmalpflege hin zu mehr Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern und Akzeptanz von Bedürfnissen gesellschaftlicher Randgruppen.
Immer handelt es jedoch um Narrative, also um Erzählungen zu potenziell schützenswerten Bauten und anderem Kulturgut. Wie wichtig sind Erzählungen und Erfahrungen von Erbengemeinschaften (hier verstanden als die vom Objekt betroffenen Menschen), wenn sie andererseits in Bezug gesetzt werden zur historischen und materiellen Beschaffenheit eines Gebäudes selbst (S. 140)?
Um das Eingangsbeispiel Dresden zu bemühen: zum Einen gibt es dort das Narrativ des Stadtplanungsamtes, welches sich auf die möglichst detailgenaue „Wiederherstellung des historischen [barocken] Straßenbildes“ (S. 108) konzentriert. Dem gegenüber steht der Wunsch der Anwohnenden, die DDR-Bauten der 1970er Jahre in der Innenstadt dafür nicht abzureißen. Deren konträres Narrativ: „keine vergleichbare Stadt in den alten Bundesländern habe so viele Wohnungen in ihren zentralen Bereichen wie Dresden“ (ebd.).
Weitere Beispiele zu einander polarisierenden Erzählungen rund um schützenswerte Bauten gibt es zahlreich im Buch. Schließt beispielsweise der Senat bei der denkmalgeschützten Neugestaltung des Platzes unterhalb des Berliner Fernsehturms wirklich von vornherein bestimmte Akteursgruppen aus (S. 89ff)? Warum finden die -vielen- Erfahrungsberichte ehemaliger internationaler Militärangehöriger sowie deutscher Anwohnender rund um ihre Erlebnisse mit den Gebäuden von Ex-Militärbasen der seinerzeit Alliierten auf deutschem Boden beim Denkmalschutz kaum Beachtung (S. 131)? Wieso wird eine einzigartige mittelalterliche Klosterlandschaft nicht in die Weltkulturerbeliste aufgenommen? Ist das vielleicht auch ein semantisches Problem, weil sie historisch bedingt das Wort „Herrschaftslandschaft“ im Namen trägt (S. 59)?
Ich habe das gesamte Buch, was mir auf meine Nachfrage hin als Rezensionsexemplar ohne Bedingungen zur Verfügung gestellt wurde, mit Freude gelesen.
Die wichtigsten Begrifflichkeiten rund um Denkmal und Kulturerbe werden direkt zu Anfang erklärt, so dass ich den sich anschließenden Praxisteil leichter nachvollziehen konnte. Die ersten drei Beiträge sind entsprechend stärker theorielastig. So hilfreich ich das finde, so unangenehm finde ich deren Redundanzen. Die vorgestellten Begriffe und ihre geschichtlichen Ursprünge hätten meines Erachtens nach in einem einzigen Kapitel von den Herausgebenden deutlich pointierter und lesefreudiger zusammengefasst werden können.
Auch irritiert mich die Unterteilung des Sammelwerks in drei verschiedene Themenschwerpunkte, welche „nicht von ungefähr drei der Interessengebiete Gerhard Vinkens“ widerspiegeln (S. 18), dem das Buch ja gewidmet ist. Sie irritiert mich deshalb, weil ich die Zuordnung der einzelnen Beiträge nicht logisch erklären kann (warum z.B. ist der -interessante- Praxisbeitrag zur Klosterlandschaft im Schwerpunkt „Konzepte & Methoden“ und nicht in den Praxisteilen zu finden?).
Fasziniert hingegen bin ich sowohl von der Zusammenstellung der Autorinnen und Autoren als auch von den ausgewählten ungewöhnlichen Denkmal- und Erbe-Beispielen.
Mir gefällt, dass im gesamten Werk sowohl theoretisch Arbeitende mit akademischen Hintergründen zu Denkmalpflege und Kunstgeschichte als auch Praktiker und Praktikerinnen aus -internationalen- Denkmalschutzorganisationen zu Wort kommen. Wenn zum Beispiel Kunsthistorikerin und Akademikerin Stackmann mit ihrem konzeptionellen Beitrag „potenziell blinde Flecken in den Heritage Studien und in der Denkmalpflege sichtbar“ machen möchte (S. 35) und genau solche blinden Flecken in den Praktikerbeiträgen des Buchs zwischen den Zeilen teilweise auch lesbar werden, dann erhöht das mein Lesevergnügen.
Das breite Spektrum der ausgewählten Beispiele von Denkmälern und kulturellem Erbe macht das Buch übrigens auch für Nicht-So-Theorie-Interessierte unterhaltsam. Wer also immer schon mal wissen wollte, ob und wenn ja, wie Graffiti etwas mit Denkmal zu tun haben, schaue sich den Beitrag samt Fotos von Hönig an (S. 117ff). Oder wen interessiert, wie sich Denkmalpflege und gebautes Erbe in der Zukunft im Rahmen des Klimaschutzes verändern werden und müssen, wird im fulminanten Schlussbeitrag von Grubbauer fündig (S. 207).
Book review: 'conservation & heritage'
Politics of Inheritance in Urban Spaces
Politiken des Erbens in Urbanen Räumen (German)
Published by: Blokker, J./ Enss, C.M./ Herold, S., transcript Verlag, Bielefeld/ Germany, 2021. Available only in German language.
Abstracts in English precede each chapter. In addition, two chapters are published entirely in English. All following page references refer to this book.
“The starting point is the conflict between the field of conservation which focuses on historic objects and their handling, and the field of Heritage Studies, which examines the social circumstances under which objects become monuments.“ (p. 33)
Sophie Stackmann, heritage conservation specialist and one of the authors of Politics of Inheritance in Urban Spaces, nicely sums up in one sentence what the whole book reviewed here is about. Peppered with many practical examples, it is devoted to the topic of monuments versus cultural heritage.
Unfortunately only available in German, each of its 15 chapters contains a brief summary in English. On top of this, another two chapters are completely written in English. Even though many of the examples of monument conservation and cultural heritage refer to Germany, I think that parts of the book are also interesting for international readers.
Why? Svenja Hönig, heritage conservation specialist, gives an answer to this in her article New York Murals. Appropriation and staging of urban spaces: “the challenges facing conservation in an increasingly globalized world – where cultural heritage must be negotiated in relation to pressing issues of postcolonialism and transnationality as well as constant shifts in the dominant disciplinary focus – are ones that Gerhard Vinken has addressed in many of his writings.“ (p. 117). And the compilation is entirely dedicated to Gerhard Vinken, who is one of the international leading experts in heritage studies. In her article, Svenja Hönig explains how heritage in cities could develop if authorized heritage institutions were no longer the only ones in charge. She states that “there is no better setting for an examination of this question than in New York City“ and then gives an overview of the cultural heritage of graffiti in the big city, beautifully complemented by photos (pp. 117-130).
Another international example in the reviewed book is given by Scottish Miles Glendinning, professor of architectural conservation. Through four case studies in Edinburgh he shows the conflicts in heritage-making between a conservative surgery tradition and post-war modernist architecture. I also like how he used photos to give a sense of the contrasts between conservative and modern monuments (pp. 191- 206).
Johanna Blokker, holder of the Chair of Historic Preservation in Bamberg/ Germany, focusses more on the aspect of participation in her article. She asks how cultural heritage can “shift from an object-centered to a people-centered understanding“ (p.131) of monuments. With reference to decommissioned Allied military bases in Germany, she examines how active virtual communities with former servicemen and women interact and how committed they are to the heritage of these monuments. They “thus play [a] little role in discussions of significance that take place locally“. Here, she gets to the heart of the dilemma of today's monument preservation and asks for possibilities for improvement (pp. 131-145).
A short summary of my review: I consider the book interesting also for non-German readers, at least in the areas of international heritage conservation. It sharpened my view on today's monuments and also on future cultural heritage. My recommendation to the publisher, however, is that – as English-language paragraphs are already prefixed to all contributions, unfortunately except for the introduction – access to English translations should also be made available, upon request.