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BAU-beDACHt-BLOG  


Drunter & Drüber: Hundertwasser!


„Das Erdstück, das beim Hausbau zugedeckt und umgebracht wird, muss auf das Dach verlegt werden. Eine so dicke Erdschicht, dass auf den Dächern 100jährige Bäume, riesige Bäume, wachsen können (in: Rothenbacher, S. 364)“, formuliert es recht drastisch Friedensreich Hundertwasser im Jahr 1968.


Er sagt 1968 auch: „ich bin sicher: in wenigen Jahren wird man gezwungen sein, ein Baugesetz herauszubringen, das für jedes Haus, für jede Garage, für jede Fabrik, besonders für jede Fabrik, eine ein- bis zwei Meter hohe Erdschichte auf dem Dach vorschreibt. Für Wiesen, Wald, Parkanlagen, Gärten und Landwirtschaft mit Kühen (in: ebd., S. 365)“.


Für diese Forderung, die zu ihrer Zeit ein ungehörtes Novum war, entwickelt der Künstler und Tausendsassa  verschiedene Architekturmodelle wie das „Augenschlitzhaus“ (1972), „Die Grüne Autobahn, Die Unsichtbare, Die Unhörbare“ (1974) oder das „Hoch-Wiesen-Haus - Häuser hängen unter den Wäldern“ (1975).

 

(Quellen: Augenschlitzhaus: https://www.hundertwasser.com/architektur/arch25i_augenschlitzhaus_1061; Die Grüne Autobahn: https://www.hundertwasser.com/architektur/arch25v_die_gruene_autobahn_-_die_unsichtbare_die_unhoerbare_1065; Hoch-Wiesen-Haus: https://hundertwasser.com/architektur/arch25ix_hoch-wiesen-haus_-_die_haeuser_haengen_unter_den_waeldern_1068. Jeweils: Entwurf F. Hundertwasser, Ausführung P. Manhardt)

 



(Eingeschobener Hinweis:
Gärten auf Dächern sind an sich kein Novum, gab es sie doch schon im Alten Ägypten. Eine ausführliche Darstellung der Historie von Gründächern findet sich hier. Anfang des 20. Jahrhunderts agiert  der französische Architekt Le Corbusier als systematischer Dachbegrüner und auch die Flachdächer des "Bauhaus" führen zu mehr Dachgrün. Trotzdem: kurz darauf schlummerte "Grün auf Dächern" im deutschsprachigen Raum im Dornröschenschlaf. Erst in den 1980er Jahren und damit weit NACH Hundertwassers Forderungen werden Bauprodukte sowie Regelwerke entwickelt, die Dachbegrünungen erleichtern.)


 


Hundertwasser ist es ernst mit "Grün" am und auf dem Bau. Dafür hält er sogar drei spektakuläre NACKT-Reden, womit er auf buchstäblich einsichtige Weise auf Architektur als dritter Haut des Menschen (nach der Kleidung als zweiter Haut) aufmerksam machen möchte. Wer den jungen Hundertwasser in voller Pracht sehen will, kann das hier tun.


Mit mehr Kleidung und zusammen mit dem Bürgermeister der Stadt hält Hundertwasser im Rahmen der Triennale in Mailand 1973 eine weitere Rede zu seiner Aktion "Baummieter": die Via Manzoni wird über Nacht gesperrt, damit 15 große Bäume IN die Häuser der Straße eingepflanzt werden können:


(Quellen: Entwurf Hundertwasser "Baummieter": https://hundertwasser.com/oekologie/766_arch22i_baummieter_1524; Hundertwasser mit Baum in der Via Manzoni: https://hundertwasser.com/oekologie/arch22_triennale_mailand_2017; Ein Baummieter des Hundertwasserhauses Wien: http://www.hundertwasser-haus.info/blog/2011/07/18/die-baummieter/ (Foto: Hunbert Kluger))



 

Heute, über 50 Jahre nach den ersten Grün-Dach-Forderungen von Hundertwasser, gibt es hierzulande doch kein "Baugesetz, das für jedes Haus [...] eine ein- bis zwei Meter hohe Erdschicht auf dem Dach vorschreibt". Auch sprechen wir nicht mehr davon, dass Erdstücke beim Hausbau "umgebracht" werden.


Bewußt ist uns aber, dass durch den Bau von Häusern viel Fläche versiegelt wird, und dass es nicht nur dem Klima in Städten zu Gute kommt, wenn wir diese Versiegelung durch begrünte Dächer in Teilen wieder ausgleichen. Die Vorteile beispielsweise der besseren Speicherung von Regenwasser (nicht nur, aber auch bei Starkregenereignissen) und dessen langsamer Verdunstung (was im Sommer zur Abkühlung beiträgt) oder der Erhöhung der Artenvielfalt im urbanen Raum durch begrünte Dächer sind mittlerweile ausreichend bekannt.


Auch gibt es heute eine Vielzahl von Bauprodukten, die das extensive (bis ca. 20cm Wuchshöhe) und das intensive (mehr in der Höhe dessen, was Hundertwasser vorschwebte) Begrünen von Dächern erleichtern. Ebenso wie es unzählige Initiativen und Unterstützungen von staatlicher Seite gibt. Ausführliche Informationen bietet der 2018 gegründete Bundesverband GebäudeGrün e.V.


Kreative Ideen aus aller Welt zur grünen Dachnutzung werden aktuell in den vier Folgen "Drunter und Drüber" der ARD Themenwoche "Stadt. Land. Wandel" gezeigt. Wer ein bisschen Muße für die jeweils 45minütigen Sendungen hat und wissen möchte, wie z.B. unsere europäischen Nachbarn in Frankreich, Großbritannien oder den Niederlanden richtig (!) gute Ideen zum Wohnen auf Dächern umsetzen schaut sich die Folgen 1 und 2 an. Und wer Lust hat, über den kontinentalen Tellerrand zu schauen, wird mehr in den Folgen 3 und 4, bzw. damit in Amerika und Asien, fündig. 


Was mich persönlich aber traurig macht: nirgendwo wird Friedensreich Hundertwasser als einer der Vorreiter der kreativen Dachbegrünung erwähnt. Und das, wo die Vorteile des Grasdachs schon vor fünf Jahrzehnten pries: „Es gibt nichts Schöneres als ein Grasdach“ (in: Rothenbacher, 1975, S. 372).


Der Künstler hat nie studiert und deshalb für den jeweiligen Bau mit befreundeten Architekten zusammengearbeitet. Wir hatten kürzlich im Urlaub das Vergnügen, das einzige Gebäude von Hundertwasser in den Niederlanden im Wortsinn zu erlaufen. In Valkenburg, NL steht die Regenbogenspirale, die er 1987/1988 plante und die der Architekt H.M. Springmann 2006/2007 für die Ronald McDonald Kindervallei Stiftung umsetzte.


In dem für Hundertwasser charakteristischen Bau gibt es keine einzige gerade Linie (zumindest keine, die uns aufgefallen wäre), dafür umso mehr Regenbogenfarben für gefühlt jedes einzelne Bauelement. Es macht - Kindern wie Erwachsenen- einfach Spaß, außen (!) vom Eingang aus die Spiralform hoch und an den Zimmern mit viel Fensterfläche vorbei zu laufen, um bald auf dem begrünten Dach zu stehen. Das Dach ist intensiv mit Bäumen und Sträuchern bepflanzt, die optisch mit der dahinterliegenden grünen Hügellandschaft  Limburgs zu verschmelzen scheinen.

 


Mit diesem kurzen Text möchte ich auf das Vermächtnis des selbsternannten und nicht unumstrittenen "Architekturdoktors" Hundertwasser zum GebäudeGrün aufmerksam machen. Ich finde es schade, wenn seine spektakulären Aktionen und kreativen Ideen, mit denen er schon vor 50 Jahren die NOTWENDIGKEIT von Grün beim Bauen aufzeigte, in unserem Wissen gänzlich untergingen.


WAS DENKT IHR ÜBER HUNDERTWASSER? KENNT IHR SEINE GEBÄUDE? HABT IHR VIELLEICHT AUCH SCHON EINS SELBST "ERLAUFEN"? Ich freue mich über Euer Feedback!


Quelle: Rothenbacher, F.K.: Hundertwasser – Ausstellung Haus der Kunst München e.V., Gruener Januar AG Verlag/ Schweiz, 1975.

Auch lesenswert: https://www.kunstplaza.de/kuenstler/friedensreich-hundertwasser/ und https://www.hundertwasser-village.com



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