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Urlaub, Architektur und die Schweiz - Nachhaltigkeit
#Schweiz #Strickbauten #WalserHäuser #PeterZumthor #LeiserHäuser
Nach der langen und erholsamen Sommerpause bin ich voller Frische wieder zurück und hochmotiviert, hier weiter Spannendes für Euch rund um Bauen und Architektur zu bloggen. Spannend sowohl für die vom Fach als auch für die fach-los Interessierten, jedermann und jederfrau also.
Natürlich hat mich die Architektur auch bis in den Urlaub verfolgt…wer in die Schweiz reist, KANN gar nicht anders, als schöne und abwechslungsreiche Gebäude wahrzunehmen (auch, wenn das kein expliziter Reisegrund für uns war).
Im Prättigau (Graubünden) steht so viel architektonische Geschichte neben Bauten von Pritzker-Preistragenden, dass ich aus dem Staunen nicht herauskam.
Die sogenannten Walser-Häuser haben ihren ganz eigenen Reiz: viele gut erhaltende Exemplare gibt es noch von diesen „Strickbauten“ (Holzbohlenweise), welche von der Sonne im Laufe der Jahrhunderte komplett schwarz gefärbt worden sind.
Die Walser, eine allemannische Gruppe von Bergbauern, migrierte im Hochmittelalter (13.-15. Jahrhundert) vom Wallis ausgehend in den gesamten Alpenraum, vermutlich angeworben von damaligen Territorialherren.
Für ihre Häuser nutz(t)en sie Vierkanthölzer, die sie über Eck „verstrickten“, d.h. mit einer Holzverbindungstechnik, die ohne metallische Verbindungen (wie Nägel, Schrauben) auskommt. Beim Wandern fragte ich mich, warum immer nur so kleine Fenster eingebaut wurden…die Antwort ist leicht: das verwendete Holz verzog sich noch jahrelang, also wurden die vertikalen Öffnungen klein gehalten (dafür gibt es viele davon).
Beeindruckt hat mich zum Beispiel diese Kombination aus den doch eher archaisch und groß anmutenden Walserhäusern und dieser verspielten und zarten Bleiglasverglasung. Im Mittelalter konnten „größere“ Glasflächen nur erstellt werden, in dem kleine Glasstücke mittels Bleirute verbunden wurden.
Ebenfalls ein Augenschmaus ist dieses Wohnhaus in unserem Urlaubsort Jenaz, das der Pritzker-Preisträger (= höchste Auszeichnung in der Architektur) Peter Zumthor 1997-2002 entworfen hat. Einerseits ist es ein klassisches Strickbauhaus wie die es umgebenden uralten Gebäude. ABER: es wirkt wesentlich filigraner durch weit über das Dach kragende Elemente wie die Balkone und der Eingang. UND: der Schweizer Architekt hat eine Konstruktionsweise erfunden, die große Fensterflächen in den Strickbauten ermöglicht!
Wer mehr über diese Bauweise wissen möchte, kann den sehr persönlich und unterhaltsam geschriebenen Text von Peter Zumthor hier lesen (er beschreibt darin die „Leiserhäuser“, private Wohnbauten für sich und seine Familie im Ort Leis, ähnlicher Baustil).
Meine ganz persönliche Anmerkung zum Foto: wer GENAU hinschaut (ich entschuldige mich für die FotoQualität) merkt, dass auch Bewohnende von PritzkerPreistragendenArchitektur-Häusern ihre Wäsche aufhängen müssen. Womit sowohl der „filigran wirkende“ Balkon als auch die Aussicht von selbigen erheblich gestört wird.
Ganz häufig fällt mir das auf, überall auf der Welt: es gibt wunderschön und mit viel Detailliebe geplante Wohnhäuser…und dann „verschandeln“ Wäsche oder auch gern Antennen und Satellitenschüsseln das Gesamtpaket. Ich wünsche mir, dass Architektur viel mehr auch das LEBEN, den Alltag der Bewohnenden berücksichtigt und ein top designtes Haus auch MIT Alltag schön aussieht (mehr dazu in einem der kommenden Essays).
Wie lebt es sich heute in einem WalserHaus? Wir hatten das Glück, eine Ferienwohnung in einem frisch renovierten Teil solch eines Gebäudes buchen zu können.
Eine uralte knarzende Außentreppe führte uns vom Innenhof (in dem glücklich pickende Hühner leckere Eier legten) hinauf ins erste Obergeschoss, wo uns ein heimeliger schmaler wettergeschützt-überdachter Balkon als Eingang und Ausblick (siehe Foto) diente.
Im Inneren fühlten wir uns auch sofort geborgen: Holz, wohin das Auge und vor allem die Nase reichen. Es ist ein Duft, der unbeschreiblich ist und wohltuend für Körper und Seele.
Faszinierend finde ich, wie gekonnt und zugleich vernikular (sprich: ohne Architekturexpertise) das Alte und das Neue in der Renovierung des Walserhauses zusammenkommt.
Von den Jahren warmgelb gefärbte Holz-Wandverkleidung scheint an manchen Stellen sehr hell durch: da hatten die Vorbewohnenden wohl ihre Bilder aufgehangen, die zum jetzigen (zwar urigen, aber zugleich auch modernen) Style der Fewo nicht mehr passten. Auch gibt es nicht eine durchgehende Holzart (die ersten Walser nutzten z.B. Lärchenholz, Peter Zumthor schwört auf Tanne), sondern es wurde verarbeitet, was gerade da war: alte Holzdielenböden gereinigt und freigelegt, die neue Innentreppe hingegen scheint aus neuen Holzbohlen gefertigt zu sein und im Dachgeschoss scheinen viele verschiedene heimische Holzarten genutzt worden zu sein, um die großen Decken- und Wandflächen zu verkleiden.
Kurzum: es wirkt mehr als gemütlich, zugleich aber auch einfach und schlicht. Der Vermieter erzählte uns, dass sie einfach ausprobiert hätten, was halt irgendwie passt, praktisch ist und gut aussieht (wozu dann z.B. ein herrlich anzusehendes und zu fühlendes Finish der Kalkduschwand mit einer speziellen Olivenölpaste gehört, aber das führt hier zu weit).
Warum erzähle ich Euch das alles? Zum Einen Natürlich, weil die Freude über den so erholsamen sommerlichen Bergurlaub (samt schöner Architektur. Wer übrigens die Fewo auch buchen möchte, kann mich gern ansprechen, ich gebe gern die Adresse weiter, mag hier nur keine „Werbung“ schalten) so groß und geteilte Freude ja bekanntlich doppelte Freude ist.
Zum Anderen weil ich mit eigenen Augen sehen konnte, dass im Schweizer Graubünden das gelebt wird und seit Jahrhunderten schon gelebt wurde, was welt-weit erst seit in einiger Zeit in aller (Architektur-) Munde ist:
nämlich nicht immer neuer-höher-weiter beim Bauen, sondern das bewusste Nutzen von Bestand. Bestand an (uralten) Immobilien und Bestand an Baumaterialien, die aus nicht mehr bewohnbaren Gebäuden geborgen und gerettet werden. Neudeutsch heißt das „Reduzieren-Wiederverwenden-Reparieren-Rezyklieren“ oder in Fachsprache „Cradle to Cradle (von der Wiege zur Wiege)“ beziehungsweise „Zirkuläre Architektur/ Kreislaufwirtschaft“. Es geht dabei im Kern darum, dass alles, was „verbaut“ wird, am Lebenszyklusende auch wieder zurückgebaut und in den baustofflichen Kreislauf wieder aufgenommen werden kann.
Dass die boomende Bauwirtschaft heutzutage Unmengen an knappen Ressourcen verbraucht, ist bekannt. Dass nach einer Halbwertzeit von 30 bis 50 Jahren bei vielen Bauten ebenfalls Unmengen an nicht wiederverwertbarem Abfall entstehen, ist ebenfalls bekannt. Diese Missstände thematisieren derzeit zum Glück sowohl Politik als auch Industrie. Wer mehr über moderne Maßnahmen zirkulärer Architektur, die auch Robotik und Künstliche Intelligenz einschließen, wissen möchte, liest gute Beispiele hier oder schaut sich dieses kurze und zugleich berührende Video über einen Bau-Schatz-Sucher an. Das Schweizer Netzwerk für Nachhaltiges Bauen findet Ihr hier.
Holidays & Architecture - Sustainability in Switzerland